Erinnerungen von Hans Keckstein
Diese Erinnerung schrieb Hans Keckstein, geb. in Kettwa, Kr. Kaaden, Sudetenland, als Sohn eines Bahnbediensteten. Nach Schul- und Lehrzeit Wehrdienst bei einem Pionierregiment der tschechischen Armee. Ab 1925 in Karlsbad als Kraftfahrer tätig. Verheiratet zwei Kinder. Von 1939 bis 1945 Kriegsdienst im Baltikum und in der Ukraine als Kraftfahrer beim Stab der 8. Armee. Aus amerikanischer, später russischer Gefangenschaft Ende Juli 1945 als Invalide entlassen. Nach Vertreibung seit August 1946 in Asbach-Bäumenheim wohnhaft. Von 1948 bis 1968 Betriebsrat bei Fa. Dechentreiter, von 1952 bis 1972 Gemeinderat, von 1952 bis 1966 Kreisrat. Es halfen mit: Karl Fraunhofer, Andreas Furier, Franz Grill, Josef Häusler, Kurt Henze, Karl Prosch und Erna Thomas.
Hans Keckstein, Sudentenstraße 4, 8854 Asbach-Bäumenheim, Bäumenheim, anno 1982
Nach dem Zusammenbruch des deutschen Reiches im Mai 1945 ergoss sich in das ausgeblutete und durch Bomben zerstörte Land ein Strom von Flüchtlingen und Vertriebenen. Durch einen Bombenangriff im März 1945 war auch Asbach-Bäumenheim schwer getroffen. Über hundert Menschen verloren das Leben, viele Wohnhäuser wurden zerstört oder schwer beschädigt.
Trotzdem fanden in dieser Gemeinde in den ersten Jahren nach dem Kriege über 760 Vertriebene eine neue Heimat. Die ersten Flüchtlinge, ca. 130 Personen kamen aus den deutschen Ostgebieten, aus Schlesien, Pommern, Ostpreussen und aus Berlin. Vorher traf noch eine Familie aus Südtirol (9 Köpfe), die durch die Abtretung dieses schönen Landes an Italien ihre Heimat verlor, hier ein.
Aus dem Südosten kamen ca. 140 Menschen nach Asbach-Bäumenheim und zwar hauptsächlich aus der Gegend von Gertianosch (Kr. Temesburg, rumänisches Banat) etwa 100 Personen. Aus der Batschka (Jugoslavien) stammten 25 und aus Ungarn 15 Vertriebene.
Die Vorfahren dieser Volksgruppe waren vor über 200 Jahren nach Südungarn (Banat) gekommen. Als in den Türkenkriegen die Kaiserlichen Heere unter Prinz Eugen die Türken über die Donau zurück gedrängt hatten, ließ die Kaiserin Maria Theresia (reg. 1740-80) diesen Landstrich mit deutschen Bauern und Handwerkern besiedeln.
Fast alle diese Siedler kamen aus dem süddeutschen Raum, daher der Name ,,Donauschwaben“. Der donauschwäbische Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn hat diese Landnahme in seinem Buch ,,Der große Schwabenzug“ anschaulich geschildert. Zusammen mit den Siebenbürger, Sachsen, sollten diese Deutschen das Land vor neuen Türkeneinfällen sichern; und das taten sie auch viele Jahre.
Aus dem Baltikum (Estland) fanden sich 4 Vertriebene in Asbach-Bäumenheim ein. Die meisten Vertriebenen jedoch, über 480 Seelen, kamen in Transportzügen aus der Tschechoslowakei. Die verlorene Heimat dieser Sudetendeutschen lag in folgenden Gebieten und Kreisen: Im Egerland in den Kreisen Asch, Eger, Falkenau, Elbogen, Karlsbad, Tepl, Mies und Luditz, im Böhmerwald und Südböhnen, im Erzgebirge in den Kreisen Graslitz, Neudeck, St. Joachimstal und Weipert, im Saazerland mit den Kreisen Kaaden, Saaz, Duppau, Podersam und Komotau, in Nordböhmen in den Gebieten um Brüx, Teplitz, Tetschen-Bodenbach, Aussig, Reichenberg, Gablonz und Trautenau, in Mähren-Schlesien aus Freudental, Freiwaldau, Hohenstadt, Neutitschein, Olmütz und Brünn. Aus Südmähren stammten 4 Weinbauern mit Familien und aus der Zips (Slowakei) ebenfalls 4 Vertriebene.
Die Ahnen dieser Sudetendeutschen wurden vor über 700 Jahren von den Böhmischen Königen ins Land gerufen. Die Randgebiete der böhmischen Länder (Böhmen, Mähren und Schlesien) waren damals fast menschenleer, bewaldet und fast ohne Weg und Steg. Aus Deutschland kamen Bergleute,Bauern und Handwerker um als freie Bürger das Land zu erschließen. Der Bergbau – gefördert wurden im Erzgebirge Silber, Zinn und Kupfer, erreichte von 1500-1700 seine Blütezeit. Zahlreiche Ortsnamen (Kupferberg, Zinnwald, Schlaggenwald, Trinkseifen, Silberbach u.v.a.) gehen auf den Bergbau zurück. Aus dem in St. Joachimstal geförderten Silber wurden die ersten Silbermünzen geprägt, die nach ihrer Herkunft den Namen ,,Taler“ erhielten. Auch der Name des amerikanischen ,,Dollar“ leitet sich von diesem Taler ab. Als Abfallprodukt fiel die Pechblende an und darin fand Frau Curie im 19. Jahrhundert das Radium. Heute fördern in St. Joachimstal und Schlaggenwald die Russen Uran für die Atombombe. Die deutschen Bauern rodeten den Urwald, viele Ortsnamen mit der Endung ,,reuth“ findet man im ganzen Sudetenland. Nach dem Erliegen des Bergbaus entstanden in den von Deutschen besiedelten Gebieten viele Handwerk- und Industriebetriebe. Böhmisches Glas und Porzellan, Gablonzer Schmuck und Textilien aus Nordböhmen und Schlesien wurden weltbekannt. Die Landwirtschaft und Viehzucht erreichten einen hohen Stand; Saazer Hopfen, ein Spitzenerzeugnis wurde zum größtenteil ausgeführt.
So haben Deutsche mit Mühe und Fleiß aus Urwald und Wildnis in einigen Hundert Jahren ein blühendes Land geschaffen. Tausende Gäste besuchten jährlich die Bäder Karlsbad, Marienbad, Franzensbad und Teplitz, suchten und fanden dort Heilung. Wintersportler, Erholungssuchende und Wanderer hatten herrliche Gelegenheiten im Riesen- und Erzgebirge, um den Altvater, im Elbesandsteingebirge und Herrnskretschen bis Tissa und im Mittleren Egertal von Karlsbad bis Kaaden.
Bis zum Ende des ersten Weltkrieges 1914-18 waren die Länder der böhmischen Krone ein Teil der Monarchie Österreich-Ungarn, in der die Habsburger als Kaiser von Österreich und als König von Ungarn herrschten. Im Reichstag zu Wien saßen deutsche, tschechische, ungarische, ruthenische, kroatische, rumänische und italienische Abgeordnete. Dieser Vielvölkerstaat mit über 50 Millionen Einwohnern, war ein sich selbst versorgendes Wirtschaftsgebiet. Die Währung, die österreichische Krone zu 100 Heller, war durch Gold gedeckt und galt an der Börse 0,83 Reichsmark. Die fetten Gewinne aus dem Tabakmonopol, der Staat kaufte, verarbeitete und verkaufte alle Tabakwaren in eigener Regie, reichten zur Finanzierung eines ausgezeichneten, reichgegliederten Schulwesens gerade aus. Volks – und Bürgerschulen (1.-5. bzw. 6.-8. Schuljahr) Mittelschulen, Handelsschulen Lehrerbidlungsanstalten, Gymnasien, Musikschulen, Akademien und Hochschulen vermittelten eine sehr gute Ausbildung. In dieser sogenannten guten, alten Zeit verdiente ein Taglöhner 160 Kronen täglich, ein Briefträger monatlich 60 Kronen. Die Lebensmittel waren billig; ein Ei kostete 4-6 Heller, 1 l Bier 20 Heller. Im Herbst 1918 zerfiel Österreich-Ungarn in 3 Staaten: Deutsch-Österreich (9 Millionen Einw.) Ungarn (9 Mio. Einw. Und die Tschechoslowakei (14 Mio. Einw.) Polen erhielt Galizien, Rumänien besetzte Siebenbürgen, die Bukowina und Teile des Banats. An Jugoslawien fielen Kroatien, Bosnien, Dalmatien und Krain, an Italien Triest, Görz, Istien und ein Teil Südtirols.
Den Sudetendeutschen verweigerte man das Recht auf Selbstbestimmung und presste sie gegen ihren Willen in den tschechischen Staat. Bei Demonstrationen für den Anschluss an Österreich in mehrerern Städten des Sudetenlandes im März 1919 schoss tschechisches Militär in die Menge; es gab viele Tote und Verwundete.
Bis dahin war ein Großteil der Industrie Österreich-Ungarns in den Gebieten der heutigen Tschechoslowakei konzentriet, und zwar die Porzellan- Glas- Schmuck- Zucker- Textil- und Chemische Industrie zu 80-100%, die Metallindustrie zu 60%. Eine einzige Stadt in Nordböhmen (Gablonz) zahlte mehr Steuern als das Königreich Dalmatien an der Adria. In der Tschechoslowakei lag wiederum der größte Teil der Industrieanlagen in den von Deutschen bewohnten Randgebieten. Von der Porzellan- Glas- Schmuck- Textil- Textilmaschinen- Musikinstrumenten- Zement- und Papierindustrie und vom Braunkohlebergbau waren 80-90% in deutschen Händen, brachten den meist deutschen Arbeitern das Brot. Die Tschechen, mit 7 Mio. nur knapp die Hälfte der Bewohner dieser Rebublik, versuchten nun aus dem Viervölkerstaat einen tschechischen Taionalstaat zu machen. Stellen im Staatsdienst, bei der Post und Eisenbahn auch in rein deutschen Gebieten wurden nur mit Tschechen besetzt; mittels einer Bodenreform zerschlug man die deutschen Großgrundbesitze und verteilte das Land an Tschechen. Die Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren traf die Deutschen viel härter als die Tschechen, da die Ausfuhr der Industrieerzeugnisse stark zurückging. Einige hunderttausend sudetendeutsche Arbeiter wurden arbeitslos und die Spannung zwischen Deutschen und Tschechen vergrößerte sich. Bei den Wahlen im Jahre 1935 wurde die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henlein die stärkste Partei im Prager Parlament, da fast alle Deutschen dieser Partei ihre Stimme gaben.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Oktober 1938 schloss sich das Sudetenland an das Reich an.Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte in den Jahren 1945-47 mit Zustimmung der Siegermächte die Vertreibung der deutschen Volksgruppe. In den ersten Monaten nach Kriegsende herrschte im Sudetenland die russische Soldateska und der tschechische Mob. Die Deutschen mussten weiße Armbinden tragen und waren vogelfrei, den örtlichen Machthabern ausgeliefert. Vergewaltigung, Plünderung, Erschießen und Erschlagen waren etwas Alltägliches. Tausende verübten Selbstmord. Die Verluste der Sudetendeutschen während der Vertreibung werden auf über 200 000 Menschen geschätzt. Erst später wurde die Austreibung geregelter, die Deutschen in Lagern gesammelt und in Transportzügen über die Grenze abgeschoben, In Wisau führten amerikanische Soldaten eine allgemeine Entlausung durch und der Hilfszug Bayern vom Roten Kreuz gab die erste Verpflegung aus. In Augsburg erfolgte die Verteilung auf die schwäbischen Landkreise. Im Kreis Donauwörth gab es Lager im Heiligkreuz, ein Barackenlager an der Zirgesheimer Straße.
In der Tschechoslowakei wurden die Deutschen wie Vieh verladen und in jeden Güterwagen, ob groß oder klein, 40 Männer, Frauen und Kinder mit Gepäck gepresst. In der Regel waren nur 50 kg pro Kopf gestattet. Aus den Lagern im Landkreis DON erfolgte die Verteilung an die einzelnen Gemeinden. Die Bürgermeister in vielen Orten verweigerten, angeblich wegen Wohnungsmangel, die Aufnahme und schickten die Wagen ins Lager zurück. Der damalige Bürgermeister Karl Förg brachte es fertig, alle ihm Zugewiesenen recht und schlecht unter zu bringen. Es war keine leichte Aufgabe, in dem durch den Bombenangriff schwer beschädigten Ort, für Alle ein Obdach zu finden. Auch nach Hamlar kamen ca. 40 Personen. Die zwei größeren Betriebe Dechentreiter und Droßbach boten verhältnismäßig gute Arbeitsmöglichkeiten, viele Vertriebene halfen auch in der Landwirtschaft mit.
Jeder 4. Bäumenheimer ein Vertriebener
Da war nun in den Hungerjahren 1945-48 ungefähr jeder vierte Bewohner von Asbach-Bäumenheim ein Vertriebener, die Versorgung mit Wohnraum, Nahrung und Heizmaterial miserabel. In einem Barackenlager, an Stelle des heutigen Textilhauses Krippner, vegetierten ca. 40 Familien, das Arbeiterhaus, Hauptstraße 0 war voll gestopft und an der Mertinger Straße (Zipfel) standen ebenfalls einige Baracken. Die meisten Vertriebenen aber waren in Einzelhäusern notdürftig untergebracht. Das enge Zusammenleben war oft der Anlass u Streit und Reibereien mit den Hausbesitzern. Der Schreiber dieser Zeilen hatte Glück, er fand bei der Familie J. und A. Uhl verständnisvolle Aufnahme und Unterkunft, und nach einigen Wochen so etwas wie Familienanschluss. Bis 1948 gab es auf Lebensmittelkarten minimale Rationen, etwa 1000 Kalorien täglich. Die Karten waren gestaffelt in Normal, Halbschwer- und Schwerarbeiterkarten, aber hungern mussten wir alle. Ein Verwundeter erklärte mir einmal verbittert: ich bekomme nur die Halbschwerarbeiterkarte, da ich ja nur einen Arm habe. Als Verbindungsmann der Vertriebenen zu den Behörden wurde der Flüchtlings-Vertrauensmann eingesetzt.